Matthias Lambrich: Neues Konzept eines Pfades der Demokratie vom Haus Siebenpfeiffer durch die Stadt zum Hambacher Schloss – Vortrag beim Haardter Demokratiefest am 18.07.2021

Impro: Lehrer Lambrich kommt verschwitzt nach dem Aufstieg auf die Haardt an und macht Pause. Gag: Noten würfeln; Auftrag des Schulleiters für die Ferien, den neuen „Demokratiepfad“ zu erkunden.

Wo ist er denn jetzt? Hast Du ihn gesehen? Oder Du? Ja, den „Demokratiepfad“ natürlich! Wie, noch nichts davon gehört? Und ich bin extra hier nach Neustadt, in den Ortsteil Haardt gekommen! Soll mich auf die Suche nach einem gewissen Oberpfeiffer oder so ähnlich machen! Weißt du, wer das ist? Ach so: Siebenpfeiffer? Doktor Siebenpfeiffer!

Nie gehört: „Und ich hab doch nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor!“ Aber das ist eine andere Geschichte.

Ah, da seh ich ja jetzt endlich das Schild: „Siebenpfeifferhaus“ (1). Da geh ich mal hin und frag dort mal die Leute, was es mit diesem Ober-, nein Doktor Siebenpfeiffer auf sich hat. Da seh‘ ich schon so einen Haardter: nett schaut er ja aus! Der kann mir bestimmt etwas von ihm erzählen:

„Ja, kloar känn ich denne: Den kännt doch jeedes Biewel un jedes Mädsche hier! Wärd schun in de Grunschul glernt. Was? Du verschdehst misch net?  Alla hopp dann uff Hochdeitsch: Also der Herr Philipp Jakob Siebenpfeiffer war mal so ein braver bayerische Beamter in verschiedenen Gemeinden der bayerischen Pfalz, schließlich Landkommissar im saarpfälzischen Homburg. Warum bayerisch? Na, weil Fürst Metternich und Konsorten das auf dem Wiener Kongress so entschieden haben. Und der Herr Juradoktor Siebenpfeiffer war auch lange so ein Biedermeier im Dienste seiner Majestät, erst dem Max I. Joseph, dann unter Ludwig I., auf den er sogar Lobeshymnen gedichtet hat.

Vielleicht, um sich ein wenig einzuschleimen, damit der hohe Herr ein offenes Ohr habe für seine Projekte, den Neubau von Schulen, den Ausbau der Verkehrswege und die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Ist aber wohl immer wieder auf taube Ohren gestoßen und hat dann Zeitschriften gegründet, um auf Missstände hinzuweisen.

Da sollte er dann strafversetzt werden, hat sich nun aber ganz auf seine journalistische Tätigkeit gestürzt. Und jetzt kommt die Haardt ins Spiel: Hier, genau an der Stelle, wo jetzt das Siebenpfeifferhaus steht, hat er seine berühmte Rede für das „Hambacher Fest“ geschrieben. Und ist dafür dann gut drei Wochen später festgenommen worden. Haardter Bürger haben noch versucht, das zu verhindern, aber mit der Polizei war nicht zu spaßen. Warum Du hierher kommen solltest? Weil Du Dir hier Gedanken über Mut und Widerstand machen kannst, die es in der Demokratie braucht! Jetzt gehst Du da den Pfad hinauf zum Schloss! Nein, nicht das Hambacher, sondern das Haardter Schlössel! Dort gehst Du dann weiter hoch Richtung Kaiserweg, aber das ist dann die andere Richtung – geographisch, und historisch sowieso. Du gehst durch den Wald, am Kneipp-Becken vorbei, vorbei am Lina-Sommer-Denkmal, dann einen ganz schmalen Pfad hinter dem Ludwigsbrunnen weiter, und oberhalb auf dem Weg kommst Du dann zu einem Denkmal.“

Gut mache ich! Vielen Dank für die Auskunft! Puh, ganz schön anstrengend da hoch: Aber was soll ich auf dem Demokratiepfad im Wald bei einem Denkmal? Ah, ich seh es schon, kommt mir bekannt vor, der Herr: Schnauzer im Gesicht. Ja, das ist Bismarck (2). Schön herausgeputzt, gar nicht verwittert. Der muss heute noch Anhänger haben hier in Haardt. Darüber muss ich mal nachdenken! Reichskanzler war er ja, unter dem Preußenkönig Wilhelm I, der sich 1871 in Versailles zum Kaiser der Deutschen krönen ließ. Nach einem demütigenden Krieg gegen den „Erzfeind“ Frankreich, wie man das damals sagte. Und die Sozialistengesetze hat er erlassen, der preußische Juncker, gegen die verhassten Sozialdemokraten und die Gewerkschaften. Was soll der auf dem Demokratiepfad? Vielleicht nur deshalb, weil in dieser Person deutlich wird, dass ihm wegen der Arbeiterbewegung gar nichts anderes übrig blieb, als die Grundlage für den Sozialstaat zu legen: Renten-, Kranken- und Unfallversicherung. Freiwillig hat er das gewiss nicht getan, der alte Otto. Gut und wirksam für den sozialen Frieden war es und ist es trotzdem. Und hat wohl auch zur anhaltenden Verehrung hier im protestantischen Haardt beigetragen.

Da geht’s weiter. Boah, jetzt wird es noch mühsamer: Der Weg geht steil, sehr steil hinauf auf den Bergstein (3). Das muss sich dann aber schon sehr lohnen, wenn ich da hinauf soll. Hätte ich nicht gedacht, dass das mit der Demokratie so anstrengend ist: Aber vielleicht ist ja nicht damit getan, dass ich brav zur Wahl gehe und mit der Stimme auch die Verantwortung abgebe. Eigentlich eine ganz gute Metapher, dieser Schweiß treibende und etwas verschlungene Pfad: Schließlich hat es ja noch fast 90 Jahre gedauert nach der Rede des Doktor Siebenpfeiffer bis sich in Deutschland die Demokratie durchgesetzt hat. Um dann schon 14 Jahre später wieder weggefegt zu werden. Da braucht es schon Menschen, die bereit sind, dafür zu kämpfen. Hört nicht jeder gern, aber wohl gerade in den demokratischen Parteien, in den Parlamenten. Sonst ist es eine „Demokratie ohne Demokraten“, woran die erste deutsche Demokratie auch gescheitert ist. Und es braucht solche, die sich nicht einschüchtern lassen durch Populisten. Die tun so, als ob sie und nur sie allein auf Volkes Stimme hören. Ich höre sie noch schreien: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“, „Sozialschmarotzer – diese Asylanten!“ und neuerdings „Corona-Diktatur“. Bin ich bereit, mich mutig solchen Parolen entgegenzusetzen? Oder ist mir das zu anstrengend? 

So, die letzten Felsen sind erklommen: Da sieht man einen schönen Rastplatz mit Bänken – und einer tollen Aussicht. Da soll es bestimmt hingehen auf dem Pfad der Demokratie. Was man da sieht: Weitblick natürlich. Und: das Hambacher Schloss! Noch ein ganzes Stück Weges von hier, durch ein tiefes Tal und dann wieder den Berg hinauf.

Jetzt hätte ich beinahe gesagt: Da wäre doch eine Hängeseilbrücke ideal – ein Stück Demokratie wagen auf dem Siebenpfeiffersteg (4). Sag ich aber nicht: Die Zeit scheint noch nicht reif dafür! Sonst heißen sie mich hier nur noch den „Spinner“…

Ja, Freiheit und Demokratie waren 1832 noch weit weg, wie das Hambacher Schloss vom Bergstein aus gesehen. Aber es braucht eben doch Menschen mit einer Vision von einer besseren und gerechteren und freieren Gesellschaft. Und: Auch in der Demokratiestadt Neustadt darf diese Demokratie nicht als Museumsstück betrachtet, sondern muss von uns allen gelebt werden. Sonst ist sie tot!                           

(Musik: Haardt of Gold, Bella ciao)

Welche weiteren Stationen würde unser fleißiger Lehrer auf dem „Pfad der Demokratie“ ansteuern:

  • meist keine spektakulären Orte,
  • sondern Stellen, die bewusst machen, worauf es in der Demokratie ankommt.

Oder umgekehrt: die klar machen, warum es noch so lange gedauert hat, bis 1918 eine demokratische Republik ausgerufen wurde und nach dem Grauen der Naziherrschaft mit Hilfe der Westalliierten mit der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 dauerhaft und wehrhaft etabliert wurde.

Oder noch anders: an denen deutlich wird, wann aus einem Staat eine defekte Demokratie oder gar ein „failed state“ wird, aus denen Menschen fliehen, weil Leib und Leben bedroht sind.

Da sei uns hier an dieser Stelle, an der wir an Philipp Jakob Siebenpfeiffer denken, ins Stammbuch geschrieben: Er musste, wie viele andere auch, aus seiner Heimat fliehen und ist in der Schweiz aufgenommen worden, hat dort – auch mit seinen Kompetenzen als Jurist – noch erfolgreich gearbeitet. Andere mussten im 19. Jahrhundert wegen Armut und Elend aus der Pfalz fliehen, viele in die USA, das „gelobte Land“ in der Hoffnung der Menschen. Denken wir daran, wenn heute Menschen aus kaputten Staaten oder vor Kriegen oder aus dem Elend fliehen und zu uns nach Europa kommen, in ihr „gelobtes Land“?

Zurück zu unserem fleißigen Lehrer: Sein „Pfad der Demokratie“ führt ihn in Neustadt z.B.

(5) zu einem der vielen Kriegsdenkmäler (Welschterrasse, Kriegergarten, Kriegerdenkmal in der Hauptstraße) oder in eine der umstrittenen Straßen (Hindenburg-, Karl-Helfferich- und Carl-Petersstraße als Problem: statt Carl von Ossietzki, Matthias Erzberger oder Nelson Mandela)

Themen: Nationalismus, Revanchismus, Rassismus, Militarisierung und Uniformierung der Gesellschaft (Untertanengeist, Kadavergehorsam) statt deutsch-französischer Freundschaft und multikultureller Gesellschaft.

(6) an die Turnhalle des TUS Haardt oder die Sammelunterkunft für Geflüchtete (Nachbarschaftsladen); Welschterrasse, Hetzelstift oder Hauberanlage, Grünzug oder Otto-Dill-Museum (Manfred Vetter), Garten der Begegnung, Rosengarten oder “Wasser in die Stadt” (Bürgerstiftung)

Themen: Rückzug in das Private (Biedermeier) statt aktivem bürgerlichen Engagement für das Gemeinwohl.

(7) an das Gebäude der RHEINPFALZ und auf den Marktplatz (1. Mai 1933, Bücherverbrennung: Heinrich Mann: Der Untertan; Franz Kafka: Das Schloss; Erich Kästners oder Kurt Tucholskis Gedichte)

Themen: (fehlende) Meinungs- und Pressefreiheit.

(8) zum alten KRG / Volkshochschule oder zum Casimirianum, wo antike Philosophie, Humanismus und Aufklärung gelehrt werden (sollten)

Themen: (fehlende) Freiheit von Forschung und Lehre; Bildung und Aufklärung als permanente, nie abgeschlossene Projekte.

(9) an das Gewerkschaftshaus, zum Gestapogefängnis in der Konrad-Adenauer-Straße oder zur Gedenkstätte in der ehemaligen Turenne-Kaserne

Themen: (fehlende) Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, Gewerkschaften und Parteien.

(10) zum historisches Amtsgericht in der Lindenstraße

Themen: staatliche Willkür statt Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Gerichte (hier: erneute Verhaftung und Bestrafung Siebenpfeiffers nach dem Freispruch im Assinenprozess).

(11) zum Bau der katholischen Marienkirche (1860-62) mit Unterstützung durch das katholische Bayern, kurz vor dem „Syllabus errorum“ von Papst Pius IX. (1864), in dem Demokratie, Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit als Glaubensirrtümer verurteilt werden; Opportunismus des „Reichskonkordats“ von 1934, Schweigen Pius XII. zum „Holocaust“, aber auch Internierung widerspenstiger katholischer Geistlicher wie Monsignore Heinz Römer (1941-1945 in Dachau);

zum Konflikt zwischen den evangelischen Pfarrern der protestantischen Stiftskirche: Denunziation durch „Deutsche Christen“ (1934), aber 1937 auch Einladung von Martin Niemöller von der „Bekennenden Kirche“ durch den Pfarrernotbund in die AWK

Themen: (fehlende) Trennung von Kirche und Staat, (reaktionäre) Kirchen als damals maßgebliche gesellschaftliche Organisationen in Gegnerschaft zur Demokratie.

(12) zum Rathaus mit Ratssaal

Themen: adlige Politikerkaste statt “Politik als Beruf” und Wahlen (M. Weber); repräsentative Demokratie mit Rat als Kontrollorgan der Exekutive hautnah und vor Ort sichtbar und erlebbar.

(13) sehr unauffällig, fast versteckt: zu Häusern mit Hochwassermarkierungen im historischen Stadtkern und zu Stolpersteinen in der Stadt 

Themen: Demokratie nicht einfach „Herrschaft der Mehrheit“, weil Mehrheiten ausdrücklich oder stillschweigend die Unterdrückung und sogar Ausrottung von Minderheiten beschließen oder gutheißen mögen und weil gegenwärtige Mehrheiten sich der notwendigen, aber teuren Entscheidungen in der Verantwortung für künftige Generationen verschließen können.

(14) zum Hambacher Schloss, zur Synagoge in der Ludwigstraße, zum Jüdischen Altersheim in der Hauberallee

Themen: (fehlende) Zivilcourage und Mut zum Widerstand als wichtigste, nicht institutionelle Elemente der „wehhaften Demokratie“.

Die hier vorgeschlagenen Stationen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit bzw. auf die Berücksichtigung aller relevanten Orte: Sie sollen vielmehr Anlass zu Information und zu aktuellen Diskussionen sein.

Realisierungsvorschläge:

  • an den Stationen QR-Codes, über die interaktiv Informations- und Diskussionsmaterial abgerufen werden können, die von Leistungskursen Sozialkunde und Geschichte gestaltet und aktualisiert werden
  • Rekrutierung und Ausbildung von Demokratiescouts („peer guides“), d.h. Jugendlichen, die interessierte Gruppen auf diesem Pfad zum Hambacher Schloss führen und begleiten

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!